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Reichsbürger_innen

Eine besondere Spielart aggressiver Verschwörungsideolog_innen in Bayern und Deutschland

Reichsbürger_innen sind ein sehr heterogenes Spektrum von Menschen, die die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland als souveränem Staat leugnen. Den bundesdeutschen Staat mit seinen Normen, Gesetzen, Bundesländern, Kommunen und Behörden erkennen sie nicht als rechtmäßig an. Daraus ergeben sich für Reichsbürger_innen unterschiedliche Konsequenzen : Einige Gruppierungen sind etwa der Überzeugung, dass das Deutsche Reich nach Ende des zweiten Weltkrieges nicht aufgehört hat zu existieren sondern weiterhin den einzigen legitimen Staat auf dem Staatsgebiet innerhalb der Grenzen des Jahres 1937 darstellt. Eine weitere Erscheinungsform von Reichsbürgergruppierungen führt andere, vermeintlich noch existente und mit Hoheitsrechten ausgestattete Staaten wie das deutsche Kaiserreich oder Preußen fort. Wiederum andere Reichsbürger_innen rufen dagegen vollständig neue, eigene „Staaten“, wie zum Beispiel das „Königreich Ur“, „Lichtland“, die „Heimatgemeinde Chiemgau“ oder den „Bundesstaat Bayern“ aus.

Reichsbürger_innen
Schild auf einem Grundstück bayerischer Reichsbürger*innen. Foto: Benny Neudorff

Die Reichsbürgerideologie stellt eine besondere Art von Verschwörungsdenken dar, da alle Teile des Spektrums eine kleinere Gruppe von Akteuren, wie zum Beispiel die Alliierten des Zweiten Weltkrieges aber auch kleine Zirkel politischer oder wirtschaftlicher Eliten als Hauptverantwortliche und –schuldige für den aktuellen rechtlichen Status Quo ausmachen. So ist etwa die Annahme, dass mächtige finstere Hintermänner eine nur scheinbar staatliche Firma namens „BRD-GmbH“ betreiben, mit deren Hilfe Deutschland politisch kontrolliert wird, weit verbreitet unter Reichsbürger_innen. Erhebliche Teile des Reichsbürgerspektrums pflegen neben ihren verschwörungsideologischen Konstrukten ein völkisches bis rechtsradikales Weltbild. So streben sie unter anderem ethnisch homogene Gemeinwesen auf der Grundlage von Abstammungsnachweisen an und verbreiten antisemitische Hetze. Einige Reichsbürger_innen kombinieren ihre Ablehnung des Staates und seiner Gesetze mit weiteren politischen Identitäten und sind in rechten Gruppierungen und Parteien wie Pegida und der AfD aktiv. Auch andere verschwörungsideologische sowie esoterische, religiöse und proto-naturrechtliche Ansätze sind weit verbreitet unter Reichsbürger_innen, sodass sie ihre vermeintlichen „Staaten“ und Netzwerke zuweilen auch nach diesen ausrichten.

Einzelpersonen, lose Zusammenschlüsse oder feste Gruppen – Reichsbürger_innen treten in vielen Formen auf

Bundesweit gibt es laut den zuständigen Landessicherheitsbehörden, von denen nur einige und das erst seit wenigen Jahren entsprechende Angaben veröffentlichen, 16.500 Reichsbürger_innen. Ihre tatsächliche Anzahl liegt wohl sehr viel höher.

Dem bayerischen Innenministerium sind 3.850 Einwohner des Freistaates als Reichsbürger_innen bekannt, von denen 328 in München leben (Stand Dezember 2017). Allerdings umfasst diese Aufstellung lediglich diejenigen Reichsbürger_innen, die sich den Behörden gegenüber offen zu erkennen gegeben haben, sodass auch hier von einer beträchtlichen Dunkelziffer ausgegangen werden muss, da nicht alle ihre Gesinnung offensiv nach außen tragen. Auf dem Gebiet des Freistaates existieren kleinere aber auch größere Reichsbürgergruppierungen wie beispielsweise die „Heimatgemeinde Chiemgau“, der „Bundesstaat Bayern“, „Lichtland“ und die „Germaniten“. Über das Internet sind diese Gruppen, aber auch losere Zusammenschlüsse und Einzelpersonen aus dem Reichsbürgerspektrum sehr gut vernetzt, tauschen sich über ihre Erfahrungen in der Konfrontation mit Staatsmacht und Behörden aus und verbreiten ihre Ideologie.

Im Kampf gegen den illegitimen Staat und seine Behörden sehen sich Reichsbürger_innen grundsätzlich im Recht

Reichsbürger_innen betrachten jeden staatlichen Eingriff in ihr Leben als unrechtmäßig und versuchen mit allen Mitteln, sich ihm zu entziehen. So setzen sie sich gegen Ausweis- und Führerscheinpflicht, Rundfunkbeiträge, waffen- und betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen, Grundsteuern, die Straßenverkehrsordnung – kurz gegen jegliche Gesetze, Regeln, Pflichten, Steuern und Abgaben zur Wehr. Hierbei zielen sie meist auf die zuständigen Behörden, Gerichte sowie die Polizei und versuchen deren Arbeit gezielt zu be- und verhindern: Sie schicken Ordnungsämtern und Gerichten Schreiben, die tausende Seiten umfassen, formulieren eine unüberschaubare Zahl von Anfragen und versuchen, Prozesse durch eine Vielzahl von Anträgen und Eingaben zu verzögern. Allerdings nehmen Reichsbürger_innen auch einzelne, ihnen missliebige Personen, wie etwa Sachbearbeiter in Behörden, Richter, Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher direkt ins Visier. Drohungen und Erpressungen auch mithilfe von Druckmitteln wie selbstverfassten „Gerichtsbeschlüssen“, „Einziehungsaufträgen“, „Rechnungen“ und „Mahnbescheiden“, Einschüchterungen einschließlich der Veröffentlichung von Klarnamen und Adressen auf einschlägigen Internetseiten, bis hin zu gezielter physischer Gewalt, setzen sie dabei ein. Für sie sind ihre Opfer lediglich „Büttel“, „Personal der BRD-GmbH“ und „Verbrecher“. Auf der Basis von vermeintlich legitimen „Hoheitsrechten“, die sie sich selbst verleihen gehen Reichsbürger_innen vor allem in Gruppen gegen Andere vor: Sie bedrohen Andersdenkende, setzen Gerichtsvollzieher fest, verfolgen Behördenmitarbeiter, stellen Richtern nach, stören Gerichtsprozesse und greifen Polizeibeamte an. Die offen rassistischen Aktivisten der Szene attackieren außerdem Menschen, die in ihrem oft völkischen reichsideologischen Weltbild keinen Platz haben.

Da viele Reichsbürger_innen, besonders aus dem rechtsradikalen Teil des Spektrums, wie Durchsuchungen zeigen, legal oder illegal Waffen besitzen, bergen Konfrontationen mit ihnen ein hohes Konfliktpotential. Bundesweit verfügen allein 1.100 Personen, die seitens der Behörden der Szene zugeordnet werden über waffenrechtliche Erlaubnisse und dürfen somit Waffen führen. Das erhebliche Risiko, das von bewaffneten Reichsbürger_innen ausgeht, zeigte unter anderem der Fall des Aktivisten Wolfgang Plan, der im Zuge eines Polizeieinsatzes zur Einziehung seiner Waffensammlung im mittelfränkischen Georgensgmünd am 19.10.2016 einen Angehörigen eines Sondereinsatzkommandos erschoss und drei weitere verletzte.

Reichsbürger_innen sind als politische Akteure, die die herrschenden Gesetze und Normen vollständig ablehnen und mit eigenen Regeln ersetzen, potentiell eine Bedrohung für alle Menschen, die sie als Vertreter der Bundesrepublik betrachten oder schlicht nicht in ihr reaktionäres Weltbild passen. Mögen ihre Aktivitäten für einige Außenstehende manchmal auf den ersten Blick auch skurril und seltsam wirken, sind sie doch ernstzunehmende verschwörungsideologische Aktivist_innen, die eine beträchtliche Gefahr für das friedliche Zusammenleben einer Gesellschaft darstellen.