Anlässlich der Wahl des Bundespräsidenten veranstaltet die AfD am Sonntagmittag eine Kundgebung auf dem Odeonsplatz. Rund 35 Teilnehmende aus Parteikreisen finden sich innerhalb der Absperrungen ein. Eine mobile Bühne auf einem Anhänger dient den Redner*innen als Hintergrund. Links neben der Bühne spannt die AfD ein Banner mit der Aufschrift „Bundespräsident, Freie Wahl für freie Bürger“ auf. Der erst einige Tage zuvor neugewählte Vorsitzende des AfD Kreisverbandes München Ost Rene Dierkes eröffnet die Versammlung kurz, hält aber keine eigene Rede.
Dafür sprechen mit Katrin Ebner-Steiner und Christoph Maier zwei Landtagsabgeordnete der AfD, die dafür bekannt sind, extrem rechte Positionen offen nach außen zu tragen. Ebner-Steiner bezeichnet den Bundespräsidenten als „vaterlandslosen Gesellen“, ein Teilnehmer der Kundgebung ruft „Volksverräter!“. Mit der Wahl Steinmeiers drückten die „Kartelparteien“ ihre Ignoranz aus, fährt sie fort. Die Kundgebung greift die Forderung der AfD nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten auf, wie sie in der Weimarer Republik üblich war und im Grundgesetz als Lehre aus dem Nationalsozialismus mit seinem Führerstaat nicht vorgesehen ist. Ebner-Steiner spinnt auf dieser Grundlage die völkische Partei-Erzählung einer angeblichen „Volksverachtung“ der gegen die Interessen der Bevölkerung gerichteten Politiker*innen anderer Parteien fort: „Wer vom Volk direkt gewählt wird, hat es deutlich schwerer sich gegen die Interessen, insbesondere die vitalen Lebensbedürfnisse seines Volkes zu stellen. Und mögen die Bill Gates dieser Welt auch noch sehr Sturm klingeln und den Lobbygruppen Milliarden zuschieben“. Der Finanzier Bill Gates wird aktuell besonders zur Zielscheibe des Hasses aus der Pandemieleugner*innenszene sowie der extremen Rechten. Die Bundespräsidentenwahl gilt Ebner-Steiner als „inszeniert“, die AfD-Abgeordnete fordert unverholen, „das Joch der Alliierten, die ein Grundgesetz ohne Volksentscheide wollten, abzustreifen“. Der nicht-direkt gewählte Präsident Steinmeier würde „fremde Menschen aus fremden Kulturen millionenfach bei uns einwandern“ lassen und so den „Selbsterhaltungswillen des deutschen Volkes“ ignorieren. „Kein Volk sieht regungslos zu wie [es] seine angestammte Bevölkerung, Straßenzug um Straßenzug, Stadtteil um Stadtteil und bald wie in Frankreich Stadt um Stadt an fremde Sprachen und an fremde Kulturen verliert„. Die extrem rechte Verschwörungserzählung des „Großen Austausches“ behauptet, die Bevölkerung werde gezielt nach ethnischen und kulturellen Gesichtspunkten ersetzt.
Christoph Maier klagt in seiner Rede über die Entstehung des Grundgesetzes im Jahr 1945 als Deutschland „Wachs in den Händen der Alliierten“ gewesen sei. Der Staatspräsident müsse direkt gewählt werden, das Grundgesetz sei durchzogen vom „Misstrauen gegen den Willen des Volkes“. Maier erwähnt den Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten, die von der extremen Rechten für ihre Opfererzählungen instrumentalisiert wird und als Anlass für neonazistische Aufmärsche genutzt wird. Eine Direktwahl des Bundespräsidenten sei nötig als „Korrektiv des Parteienstaates“, Deutschland sei „zur Beute der der Kartellparteien geworden“, das Bundesverfassungsgericht eine „Gefahr für die Freiheit in Deutschland“. Maier wettert gegen „Globalisten“ und einen angeblichen „Drift in einen Linksstaat“. „Wir brauchen in Deutschland eine wehrhafte Demokratie … wehrhaft muss sie sein, nicht um den Volkswillen auszuschalten, sondern um die Kartellparteien auszuschalten und die Parteienwillkür zu beenden.“ In Berlin würden „willige Schattengestalten“ einen „volksfernen Bundespräsidenten“ wählen. Der AfD-Abgeordnete ruft außerdem nach Volksabstimmungen auf Bundesebene – eine Forderung der extremen Rechten in Deutschland seit der Gründung der Bundesrepublik. Laut Christoph Maier wird der Boden des Grundgesetzes seit Jahren „zerstört“, etwa durch die Abschaffung der Wehrpflicht, „Masseneinwanderung“ und „Homo-Ehe und Verantwortungsgemeinschaften als Vorstufen für Vielehen“. „Wo ist jetzt noch der Boden des Grundgesetzes geblieben? Ich sehe ihn nicht mehr!“ Man müsse „mehr Demokratie wagen und damit zugleich mehr Deutschland wagen“.
40 Gegendemonstrant*innen protestieren gegen die Kundgebung und übertönen die Reden immer wieder lautstark mit antifaschistischen Parolen.