Am Freitagabend findet auf dem Harras eine Kundgebung der Pandemieleugner*innenszene statt. Rund 15 Personen versammeln sich für einen, wie sie es nennen, „demokratischen Austausch“. Dieser Austausch umfasst neben antisemitischen und verschwörungsideologischen Themen auch einschlägige Reichsbürger-Positionen. Der minimale Gegenprotest wird von den anwesenden Polizeikräften wo möglich verhindert und eingeschränkt.
Veranstalter und Bundestagskandidat der Partei „Die Basis“ Melchior Ibing gibt an, dass man „nicht die Regierung stürzen will, sondern nur miteinander reden“. Er überprüfe niemanden, der spricht, und setze lediglich voraus, dass Menschen als Menschen akzeptiert werden, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit finde er nicht gut und es gebe Grenzen. So habe er den Kontakt zu jemandem beendet, der von der „Holocaust-Lüge“ erzählt habe. Er macht sich über geschlechtersensible Sprache lustig („Herr*innen und Dam*innen“). Ibing hält es darüber hinaus für erwiesen, dass der Impfstoff in die Genetik von Menschen eingreift. Er verstehe nicht, warum es Proteste gegen genmanipulierten Mais nicht aber gegen die Impfungen geben. Am Mikrofon wird in der Folge entgegen allen Fakten behauptet, es würden viele Menschen am Impfstoff sterben. Um dies zu beweisen werden Zahlen aus den USA herangezogen wonach es 4000 oder gar 400.000 Tote gegeben habe.
Ein weiterer Redner spricht darüber, dass die Impfung eine Art Glückspiel sei und damit die Pharmaindustrie finanziert würde, welche dann wiederum neue Viren züchte. Ein Teilnehmer behauptet, es seien 30 Millionen Menschen wegen Corona verhungert, dieses Jahr würde alles noch schlimmer und es würden vor allem Kinder sterben. Zudem hätten die Linken die Kritik des Nationalsozialismus an der kapitalistischen Verfasstheit geklaut. Antisemitismus-Vorwürfe würden heute verwendet, um ganze Gruppen auszugrenzen. Big Pharma und Big Tech würden die Linken für ihre Zwecke ausnutzen, das Großkapital spiele auf einer Klaviatur und verhindere so, dass Menschen miteinander reden. Eine Rednerin, welche die einzige Frau am Mikrofon im Laufe der Kundgebung bleibt, erzählt davon, dass die Bewohner*innen der Behinderteneinrichtung, in der sie gearbeitet hat, nach der Impfung eine Wesensveränderung durchlaufen hätten.
Melchior Ibing thematisiert in einem weiteren Beitrag Antisemitismus und dass der Begriff instrumentalisiert würde. Gelbe Sterne mit der Aufschrift „ungeimpft“ seien geschmacklos, aber eben kein Antisemitismus. Man dürfe den Umgang Israels mit Palästina kritisieren, George Soros aber nicht. Dabei sei dieser federführend bei der Finanzierung von Universitäten, welche meinungsbildende Journalist*innen hervorbringe. Sein Verhalten an der Börse sei zudem kritikwürdig. Des Weiteren komme jede linke Kapitalismuskritik an den Punkt, an dem sie antisemitisch würde, so Ibing. Ein weiterer Redner wirft ein: „Weil es Juden gibt die Geld haben“? Ibing stimmt zu, spricht von Hochfinanz und dass sie historisch in den Finanzsektor gedrängt worden seien. Die Kenntnisse in diesem Bereich würden vererbt und so sei das logisch. Das sei ein historischer Fakt.
Ähnlich zweifelhafte Positionen reihen sich in der Folge aneinander. So ist etwa von Rednern zu hören, dass Parteien für Spaltung sorgten und verhinderten, dass „das Volk“ sich gegen die Elite erhebt, ausserdem sei das Grundgesetz eine Verfassung auf Zeit. Ein weiterer Redner knüpft hieran mit Erzählungen an, die in der Reichsbürger*innenszene populär sind: 1948 sei seitens der Alliierten absichtlich die Entnazifizierung gestoppt worden. Das Personalausweisgesetz sei ungültig, die deutsche Staatsangehörigkeit zweifelhaft und das Potsdamer Abkommen bis heute unerfüllt geblieben. Darum müsse sich das Volk eine neue Verfassung geben und als Souverän aktiv werden, darüber zu reden sei der erste Schritt in diese Richtung. Doch weil die Bundesrepublik weltweit viel Schaden anrichte, da das Volk zurzeit nicht souverän sei, dränge die Zeit. Denn solange diese Frage nicht geklärt sei, befinde sich die Welt in Gefahr. Er schlägt vor, die in seinen Augen noch gültige Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 für diesen gesellschaftlichen Umsturz zu nutzen.